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„Muss das so sein?“

Der Salzburger Historiker und Politiker Kay-Michael Dankl ist der aufgehende Stern der Linken in Österreich. Was er mit Südtirol zu tun hat und was er sonst so denkt?
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Foto: Salto.bz

Salto.bz: Als Historiker führt Sie die Vergangenheit mitunter nach Südtirol...

Kay-Michael Dankl: Eine Großmutter von mir ist ursprünglich aus Südtirol. Die kam in den Pinzgau, in der Zeit der Aussiedlung im Zweiten Weltkrieg. Und ja, ich bin Historiker von der Ausbildung und seit ein paar Jahren im Verein Alpine Peace Crossing tätig, einem Verein, der die Erinnerung an die Flucht tausender Juden und Jüdinnen 1947 wachhält, die über den Krimmler Tauern nach Südtirol weiter nach Genua und über das Mittelmeer nach Palästina ins heutige Israel kamen. Jährlich im Juli organisieren wir eine Gedenkwanderung, von Krimml auf der Salzburger Seite nach Kasern auf der Südtiroler Seite.

Woher das Interesse für Geschichte und Aufarbeitung?

Interesse für Geschichte hatte ich schon in meiner Kindheit, zuerst für Dinosaurier, dann für das Mittelalter. Ich hab dann aus beruflichen Gründen meiner Mutter mit meiner Familie einige Jahre in den USA gelebt, dort die Middle School und High School besucht, gerade zur Zeit des Irakkriegs von George W. Bush junior, wo man im Alltag mitbekam, dass die amerikanische Politik und Gesellschaft ganz anders getickt hat, als ich das von Österreich gekannt habe, oder geglaubt habe, von hier zu kennen. Auch wenn man mitbekommt, dass die Leute aus der eigenen Stadt nicht ins Krankenhaus gehen, weil sie keinen Versicherungsschutz haben und deshalb Angst haben, dass die Behandlungskosten die Familie finanziell ruiniert, da stellt man sich auch als Jugendlicher die Frage: Warum ist das so? In dieser Zeit ist mein politisches Interesse gewachsen und ich hab mich dann auch dazu entschieden, Geschichte zu studieren.

Sie haben sich auch früh für bildungspolitische Anliegen stark gemacht...

Als ich aus den USA zurückkam, 2005, gab es weitaus mehr bildungspolitische Debatte in Österreich. Ich hab mittlerweile das Gefühl, das ist seit Jahren nicht mehr so hoch oben, auf den Themenlisten, die innenpolitisch diskutiert werden. Da hat sich schon was verändert, zu den Themen die unter den Tisch fallen und worüber wird stattdessen diskutiert wird.
 

Wohin gehen die ganzen Reichtümer, die wir alle tagtäglich erarbeiten? Und warum kommt es nicht zur großen Umverteilung.


Warum sind die Themen Bildung, Schule weniger wichtig?

Das Interessante ist ja, dass im Alltag diese Themen den Menschen sehr wichtig sind, etwa Elementarbildung oder auch Kinderbetreuung. Das betrifft die Städte aber auch die ländlichen Gemeinden, Die ÖVP hat beispielsweise jahrelang den Ausbau von Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen blockiert. Auch in Salzburg. Ich kenne viele Eltern die sagen: Ich bekomme keinen Platz für mein Kind im Kindergarten oder in der Kinderkrippe. Viele Leute sind somit in einem Teufelskreis gefangen, würden sich eigentlich gern beruflich betätigen, können es aber nicht. Man hat manchmal das Gefühl es geht in der Politik vielfach um Ablenkungsdebatten, um wirklich wichtige Themen, wie steigende Lebenserhaltungs- und Wohnkosten, nicht zu diskutieren.

Wie klar war es für Sie, sich zunächst politisch bei den Grünen zu engagieren?

Ich glaube, das war damals das einzige was für mich in Frage gekommen ist, das einzige was es gegeben hat. Die Weltwirtschaftskrise 2007, die Occupy-Wallstreet-Krise, die We are the 99 percent-Proteste, das hat mich alles sehr beschäftigt, weil man da gemerkt hat, es gibt eine irrsinnige Schieflage. Wohin gehen die ganzen Reichtümer, die wir alle tagtäglich erarbeiten? Und warum kommt es nicht zur großen Umverteilung. Muss das so sein? Kann man nicht ein besseres demokratischeres Wirtschaftsmodell anstreben? 

Vielleicht alles ein Mangel an Bildung?

Bildung ist etwas, wo sich Menschen entfalten können, wo es darum geht, einen Weg im Leben zu finden, eigene Interessen zu verfolgen, eine Ausbildung zu bekommen, und um abgesichert zu sein. Oder geht es einfach darum, ein Geschäft aus Bildung zu machen? Der Trend geht stark in die Kommerzialisierung von Bildung, nach dem Motto: Was nichts kostet, ist nichts wert. Es wird ganz viel Arbeitsdruck, Stress und Konkurrenzdenken in die Köpfe junger Menschen hineingepflanzt. Es geht natürlich auch um Grundfragen: Was macht das kapitalistische Wirtschaftssystem – in welchem es nur um Profitinteressen geht –, beispielsweise mit unserer Umwelt? Was macht es mit Bildung? Und welche Chancen bietet es, einigermaßen gut durch den Monat zu kommen?
 

Es gibt in Österreich eine Lücke, dass es eben keine Linkspartei gibt, die die soziale Frage wieder auf die Tagesordnung setzt. 


Wie kam es zum politischen Farbenwechsel? Von Grün auf Dunkelrot...

Die soziale Frage hat bei den Grünen immer weniger Raum bekommen, das hat sich beschleunigt, als 2017 die Bundespartei mit Eva Glawischnig die Jugendorganisation der jungen Grünen – in der ich bis kurz vorher zwei Jahre lang Bundessprecher war –, rausgeworfen hat. Die Grünen haben sich dann, als sie dann aus dem Parlament geflogen waren, fast nur mehr auf eine sehr eng gedachte Klimapolitik beschränkt. Soziale Fragen, Fragen der Gerechtigkeit, kamen fast nicht mehr vor. 

Das ist in der Tat sehr enttäuschend…

Viele Menschen sind enttäuscht von den regierenden Parteien, wählen aus Protest gar nicht mehr, oder wählen rechts. Den Grünen gelingt es nicht den Aufstieg der Rechten zu stoppen. Sie präsentieren sich zwar immer als das große Gegenmodell zur FPÖ – von diesem Spiel profitieren übrigens beide, da sie sich abgrenzen können. Und das sah man am besten bei der Präsidentschaftswahl 2016, beim Duell Hofer gegen Van der Bellen, wo beide an die 50% der Stimmen bekommen haben. Es gibt es in Österreich eine Lücke, dass es eben keine Linkspartei gibt, die die soziale Frage wieder auf die Tagesordnung setzt. 

Und die SPÖ?

Die SPÖ hat sich über die Jahre sehr verändert. Aus verschiedensten Gründen. Es spielt sicher auch ein Rolle, dass die SPÖ sehr lange an der Macht war, das verändert den Charakter einer Partei. Auch jener Menschen, die für sie arbeiten. 

Wie neu kann eine Partei sein, welche das alte Wort Kommunismus im Namen trägt? Wie gehen Sie als Historiker mit der mitunter beschmutzten Geschichte um?

Natürlich liegen die Wuzeln in der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung. Die KPÖ ist eine alte Partei und hat in ihrer Parteigeschichte Licht und Schatten. Die Zeiten, in denen die KPÖ einen großen Beitrag geleistet hat, waren sicher jene des antifaschistischen Widerstands, zuerst gegen die Austrofaschismus, dann gegen die Nationalsozialisten. Die Schattenseiten waren, als sich die KPÖ nach 1945 unkritisch und sehr hörig gegenüber der Sowjetunion und Moskau verhalten hat – das haben beispielsweise andere kommunistische Parteien in Europa, etwa in Italien, Frankreich und zuvor Spanien, anders gehandhabt. Es waren jene Jahrzehnte, wo die Loyalität gegenüber Moskau und die Abhängigkeit von Geldströmen dazu geführt haben, dass man zwar eine reiche Partei war, aber in Österreich politisch nichts erreicht hat. Ab den 1990er Jahren hat man diese Jahre aufgearbeitet und es wurde dazu auch recht gut publiziert. Ich finde, dass es wichtig ist, dass man als Linker nicht sagt: Man hat einfach nichts mit der Geschichte zu tun. Natürlich distanziert man sich von den ganzen autoritären Spielarten. Jede Verbesserung, jede grundlegende Veränderung einer Gesellschaft geht nur demokratisch. Man muss Mehrheiten überzeugen, dass wir das gesellschaftliche Zusammenleben besser regeln können, als dies aktuell geschieht.

Für was steht das Plus im Parteinamen KPÖPlus?

Die KPÖ hat sich schon in den 1990er Jahren auf einen ganz klar demokratischen, neuen Weg begeben. Plus kam 2017 dazu, als eine Gruppe junger Leute sagte: wir wollen beim Aufbau einer linken Partei mitmachen und wir suchen als Plattform Plus (Plattform unabhängig und solidarisch) die Zusammenarbeit mit der KPÖ. 2019 haben wir dann den Sprung in die Stadtregierung geschafft. Dieses eine Mandat hat uns den Zugang zu vielen Informationen gegeben. Als Gemeinderat konnte ich Sprechstunden anbieten, etwa zu Wohnungs- und Sozialfragen. Und ich konnte einen Teil meines Gemeinderatsgehalts abgeben, um damit Salzburger und Salzburgerinnen in Notsituationen zu unterstützen. Wir konnten zeigen, dass wir die Sache ernst nehmen. 

Eine überraschend gute Wahl auf Landesebene liegt hinter Ihnen. In Salzburg – der Partnerstadt von Meran – wird im kommenden März erneut gewählt. Sie werden als Bürgermeisterkandidat hoch gehandelt…

Gehandelt auf jeden Fall. Die Gemeinderatswahl wird auch deshalb spannend, weil in Salzburg der Wunsch nach Veränderung sehr groß ist. Nachdem die Wahlbeteiligung 2019 sehr gering war, wird es hoffentlich bei der nächsten Wahl besser. Die Leute sollen, anstatt nicht zu wählen, mal was Neues wählen.
 

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Kay-Michael Dankl: "Die Leute sollen, anstatt nicht zu wählen, mal was Neues wählen." / Foto: Salto.bz


Ist Ihr Vorbild die Stadt Graz, mit ihrer kommunistischen Bürgermeisterin?

Wir arbeiten in der Tat mit Graz sehr eng zusammen, mit Ernest Kaltenegger, Elke Kahr, Robert Krotzer. Es gibt schon Dinge, die man von Graz lernen kann. In Graz baut die Stadt beispielsweise wieder leistbaren Wohnraum, und wartet nicht darauf, bis Investoren eine Goldgrube entdecken. Da schaut die Stadt, dass es für die Allgemeinheit dauerhaft leistbaren Wohnraum gibt. Salzburg könnte sich da durchaus eine Scheibe abschneiden.

Nicht nur Salzburg...

Immer mehr Leute sagen, die Wohnungskrise wird in Salzburg zum Schlüsselproblem, verkehrspolitisch und wirtschaftspolitisch. Es gibt aber auch die andere Seite der Wohnungskrise, unter der die Mehrheit leidet, wo einige wenige sehr gutes Geld durch die Wohnungskrise verdienen. Es werden Chalet-Dörfer gebaut und Immobilien gehandelt, die sich kein Normalsterblicher leisten kann.

In diesem Monat kommen gleich zwei Kinodokumentationen über Sebastian Kurz auf die Kinoleinwände in Österreich. Werden Sie sich diese ansehen? 

Horror-Filme sind mir meistens zu gruselig. Die Kurz-Doku Projekt Ballhausplatz schaue ich mir vielleicht an, wenn meine Freundin mich begleitet. Als Zeithistoriker ist es vielleicht spannend, weil in der Schnelllebigkeit der Tagespolitik einiges untergeht. Da hilft ein Rückblick. Den Jubel-Film spare ich mir.
Der politische Versuch von Sebastian Kurz war eine Mischung aus knallharter Klientelpolitik für das reichste Prozent zu machen, aber auch gleichzeitig die FPÖ zu kopieren, als eine Art "FPÖ light". Das hat dann mehr schlecht als recht und nur kurz funktioniert, bevor das Ganze an die Wand gefahren wurde. Aber die ÖVP versucht gerade dasselbe wieder. Es wirkt auf mich, als wäre die ÖVP gerade recht ahnungslos welche Antworten sie auf die Fragen unserer Zeit geben könnte. 

Welche Antworten hat die KPÖPlus?

Wir wollen zuhören und schauen welche Probleme es gibt und welche Lösungen sich dazu finden lassen. Es ist uns wichtig, die soziale Frage wieder stärker in den Mittelpunkt stellen.

 

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Josef Fulterer So., 10.09.2023 - 06:13

Bereits seit Magnago dürfen die Arbeitnehmer in der SVP, mit ein paar gut-dotierten Pöstchen in der Landes-Regierung ein Bischen mit-regieren, wenn sie schön artig die seither zunehmende Verbands-Wählerstimmen-Verwaltung nicht stören.
"Die ver-tretenen Arbeit-Nehmer werden dabei allerdings ge-treten!"

So., 10.09.2023 - 06:13 Permalink
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Martin Volgger So., 10.09.2023 - 07:59

Hocherfreulich, wenn junge Menschen wieder für Gerechtigkeit, Ausgleich der Interessen und sozialem Frieden kämpfen. Der neoliberale Geist und die Passivität gegenüber dieser "Störung", die sich in unserer Gesellschaft breit gemacht haben, wird irgendwann den inneren Frieden zerstören und dann geht alles wieder los.
Aber ja, der Mensch lernt aus der Geschichte wirklich nichts.

So., 10.09.2023 - 07:59 Permalink
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Stefan S So., 10.09.2023 - 09:52

Der Wirtschaftslobbyismus schaufelt sich sozialgesellschaftlich sein eigenes Grab. Wer sich als Partei diesem nicht unterwirft hat praktisch keine Chance an die politischen Stellhebel zukommen.
Meine Hochachtung vor soviel Idealismus aber da braucht es noch sehr sehr viele Dankl`s die dann vor allem dem Wirtschaftslobbyismus auf Dauer die Stirn bieten. Leider ist der Mensch und die Gesellschaft zur Zeit nicht fähig vorausschauend zu handeln, die Finanzkrise 2007 war so eine Chance welche verpasst wurde.

So., 10.09.2023 - 09:52 Permalink
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Josef Fulterer Mo., 11.09.2023 - 06:57

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Da haben es eben einige besonder raffinierte + Skrupel-lose Gruppen geschafft, für Teile der bezahlten Erwerbs-Arbeit besonders viel Geld heraus zu schlagen + auch noch raffiniert durch die ...??? Steuer-Gesetze zu lotsen + über 90 % der WELT-weiten Geld-Bewegungen beim AKTIEN-HANDEL sogar noch immer STEUER-FREI um die Welt zu jagen,
während die F A M I L I E N - A R B E I T + die Ehrenamt-lichen Tätigkeiten ohne ENTGELT, von der fidelen AUSBEUTER-GESELLSCHAFT als SELBSTVERSTÄNDLICH bewertet werden.

Mo., 11.09.2023 - 06:57 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mo., 11.09.2023 - 09:24

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Interessant wäre die ehrliche Antwort einen Kommunisten auf diesen Kernsatz, und noch interessanter auf die nächsten: "Und warum kommt es nicht zur großen Umverteilung. Muss das so sein? Kann man nicht ein besseres demokratischeres Wirtschaftsmodell anstreben? "
Vielleicht weil die Antworten fehlen, wenden sich immer mehr unzufriedene Menschen eher den Rechten zu als den Linken.

Mo., 11.09.2023 - 09:24 Permalink