Film | SALTO AL CINEMA

„The future is a humankind Erfindig“

Zwischen Schweiz und Kanada, intim und universell, philosophisch und spirituell pendelt Peter Mettlers „While the Green Grass Grows“. Wohin will der Dokumentar-Film?
While the green grass grows
Foto: Peter Mettler
  • 166 Minuten nimmt sich „While the Green Grass Grows“ - eine Meditation, die Teil 1 und 6 eines auf sieben Kapitel angelegten Filmtagebuchprojekts umfasst - Zeit, um sich Erkenntnisse zu Fragen der eigenen Existenz und Vergänglichkeit zu „erdaueren“. „Erdauern“, das ist eine irgendwie poetische schweizerdeutsche Formulierung für „warten“ und so kommt es, dass dieser Film durchaus spröde ist und auch lange Strecken aufweist, die nur aus einem audiovisuellen Rhythmus bestehen, wie dem Fließen eines Flusses, dem Schweben von Quallen oder dem Fallen von Blättern, zum Beispiel. In solchen Passagen passiert oft minutenlang scheinbar gar nichts, wenn wir uns nicht auf den Film einlassen.

    Eingelassen auf den Film hat sich erst neulich wohl auch die Jury des Bolzano Film Festival Bozen, die „While the Green Grass Grows“ mit dem mit 3000 Euro dotierten Spezialpreis bedacht hat. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen und hinzuhören, wie dieser Filmessay dahin-mäandriert. Die internationale Jury, bestehend aus Eva Sangiorgi, Viola Shafik, Alessandra Thiele, Patrick Wellinski und Franz Rodenkirchen, begründete die Entscheidung für Mettlers eigensinniges Werk wie folgt: 
     

    „Bilder vom zyklischen Werden und Vergehen. Meditative Bilder über die großen und kleine Zeitläufe, die der Regisseur auch auf seine Biographie zurückwirft. Essayistisch entfaltet unser Preisträgerfilm eine Reihe von Erfahrungen über Verlust, Liebe und Heimat, die sich nicht aufdrängen und einen Raum öffnen für unser eigenes Seherlebnis.“

  • While the green grass grows: Immer wieder driftet Peter Mettlers filmisches Werk auch in fremdartige Gefilde ab und man hat das Gefühl, dass sich das Thema erst bei der Arbeit findet, wie in dieser Serie von Überblendungen verschiedener Motive. Foto: Peter Mettler

    Der Raum, der uns als Zuseher offenbleibt, tut sich nicht so sehr in den Bildallegorien auf, die mitunter auch ein wenig zäh sein können, sondern in der Anwendbarkeit dessen, was in Interviews, vor allem mit den eigenen Eltern, Julie und Alfred Mettler, zur Sprache kommt. Besonders spannend ist der ehrliche Versuch einer Annäherung an die so schwer zu vermittelnde Erlebniswirklichkeit der Protagonist:innen der filmischen Reise.

    Diese beginnt, wie jede Reise auch mit dem ersten, hier noch etwas zögerlichem Schritt, bei dem man wohl von Formfindung sprechen könnte und in der wir uns, wenn wir es nicht schon waren, mit der Filmsprache des Regisseurs vertraut machen können. Zu langen Einstellungen von Bedeutsamem und weniger Bedeutsamem, hören wir Stimmen aus dem Off, die Fragen zur Existenz vor der Geburt stellen und zum Alter der Wolken. Wir merken, wie eng der Film in Verbindung mit den etwas animistisch ausgeprägten Ansichten seines Regisseurs steht, wie auch mit dessen engem Umfeld. Wer solche Kinobesuche, die sich ein bisschen wie ein Gottesdienst anfühlen, kennt, der kann selber ganz gut entscheiden, ob ihn „While the Green Grass Grows“ für zweieinhalb Stunden halten, vielleicht sogar fesseln kann.

    „The future is a humankind Erfindig“, stopft ein befreundeter Künstler charmant eine Vokabellücke mit Schweizerdeutsch. Man ist auf dem Weg in einen stillgelegten Eisenbergwerks-Stollen, wo er zuletzt vor einem halben Leben, mit 29 Jahren einen Geburtstag gefeiert hat. Die Zukunft als Konstrukt oder Erfindung, das fühlt sich manchmal auch ein wenig wie Trost für alte, weiße Männer an - die viel Raum im Film haben - soll es aber nicht bleiben. Mit dem Sinnieren im Auto fertig, steigen beide Männer aus und gehen in den Berg, wo wenig später Lichtinstallationen, und elektronische Musik den (Farb-)ton angeben. Man weiß nie, was man sich erwarten soll, merkt aber bald, dass sich die Interviewpartner dem Regisseur großzügig öffnen und tief in ihre Sicht der Dinge und ihren Erfahrungsschatz blicken lassen. Auch das ist aber Teil des Charmes von „While the Green Grass Grows“, dass man nie weiß, woran man mit dem Film ist, bis er zu etwas lineareren Nacherzählungen von individuellen Lockdown-Erfahrungen übergeht, um sich auch gegen Ende abermals freier zu gestalten.

  • Julie Mettler: Allein schon die Mutter des Regisseurs hätte sich, in Anbetracht ihres Charismas einen eigenen Film verdient, aber der Film des Sohnes hat auch sonst viel vor. Foto: Peter Mettler

    In etwa auf Halbweg sagt die ausgesprochen liebenswürdige Julie Mettler einen Satz, den ich mir bereits beim ersten Durchlauf angestrichen habe und der noch einmal fallen soll, zurecht. Sähe man sich nicht in der Lage mit Ferngläsern in die Zukunft schauen, dann empfiehlt sie: „You can make up the future. If you can't see it, make it up and believe in it.“ („Du kannst dir die Zukunft ausdenken. Wenn du sie nicht sehen kannst, denk sie dir aus und glaub daran“, Anmerkung des Redakteurs) Vielleicht liegt auch darin das Geheimnis eines langen Lebens.

    Über die Jahre hinweg erzählend - wir beginnen im Jahr -1 vor Corona - ändert sich auch der Charakter dieses Films, der einige Fragen zur Existenz um, oder besser kurz vor und dann auch nach dem Tod ausformuliert, immer wieder. Soviel ist aber fix: Wer das notwendige Sitzfleisch nach Meran mitbringen kann, der wird ein „eigenes Seherlebnis“ haben.

    Eine „eigene“ Sicht auf das Thema bringt sicher auch Emanuele Vernillo mit, der den Film zusammen mit Daniel Mazza morgen Mittwoch um 20.30 Uhr als Abschluss der Dokumentarfilmreihe Docu.emme im Kulturzentrum Meran gesetzt hat. Vielleicht wagen auch Sie den Salto al Cinema.

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